Sendung 001: Wie geht es weiter mit der Klimabewegung?
Video und Transkript: Wir stellten neun Personen aus der Klimabewegung in der Schweiz, Deutschland und Österreich diese Frage.
Transkript
[automatisiert transkribiert, kann Fehler enthalten)]
Annika Kruse, Fridays for Future [DE]:
Ich bin mir ganz, ganz sicher, dass es sehr viele Menschen gibt, die wirklich diese absolut intrinsischen Motivationen haben, etwas gegen die Klimakrise zu tun.
Entweder kommen existierende Bewegungen wieder hoch und haben ganz großen Aufschwung, oder es wird eine neue Klimabewegung geben.
Payal Parekh, Klimagerechtigkeitsaktivistin [CH]:
Wir müssen Leute aus der Arbeiterschicht, Leute auf dem Land, Leute mit Migrationshintergrund erreichen. Und wir machen das nicht, indem wir zu ihnen gehen und sagen, was zu tun ist, sondern zuhören, einfach offene Fragen stellen. Wie sehen Sie die Klimakrise? Was sind Probleme für Sie?
Manuel Grebenjak, Aktivist und Publizist, [AT]:
Worauf ich eigentlich hoffen würde (ist), dass man sich jetzt in dieser Phase eher mal gemeinsam hinsetzt und schaut: Was könnten wir denn ändern und was klappt gerade nicht, wo sind wir vielleicht in der Sackgasse? Und dann eben neue Wege geht.
Sprecherin Neue Zukunft:
Wie steht es eigentlich um die Klimabewegung? Um die Klimagerechtigkeitsbewegung? Gibt es neue Wege? Welche Strategien gibt es? Welche Aktionen sind geplant? Gibt es Resignationen oder neue Ideen, neue Bündnisse? Wir von der Neuen Zukunft wollen diese Fragen stellen.In Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Wir meinen, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung Orte braucht, an denen sich ihre unterschiedlichen Akteure austauschen können, über Strategien debattieren, sich über Wirksamkeit streiten, sich miteinander verständigen. Zum Beispiel über die Frage, was bisher erreicht wurde.
Dr. Antje Daniel, Universität Wien:
Wichtig ist zu sehen, dass Fridays for Future im Jahr 2019 ganz viele Jugendliche politisiert hat. Vorher galten Jugendliche als politisch desinteressiert oder eher auch als hedonistisch und wenig als politisch interessiert. Fridays for Future ist einer jener Akteure, die dieses Narrativ in Frage gestellt haben und gezeigt haben, es sind die Jungen, die im Grunde genommen auch eine Vision einer lebenswerten, ökologisch nachhaltigen Zukunft mit einbringen wollen und diese auch gestalten wollen. [...]
Und wichtig ist auch zu sehen, dass nach fünf Jahren der Mobilisierung in vielerlei Hinsicht junge Menschen mit dem Thema der Klimapolitik in Berührung gekommen sind. Wir sehen aber auch, dass sich die Klimabewegung ausdifferenziert hat. Es sind neue Akteure entstanden, wie beispielsweise die Letzte Generation.
Das heißt, hier wird ganz deutlich, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung auch immer wieder nach neuen Strategien sucht, um vor dem Hintergrund einer fünfjährigen Mobilisierung klimapolitische Anliegen nach wie vor in die Politik zu tragen. Das heißt, wir sehen auch eine Diversifizierung von klimapolitischen Anliegen.
Sprecherin Neue Zukunft:
Aber was genau ist eigentlich das Ziel der Klimabewegung? Was ist ihr klimapolitisches Anliegen? Geht es vor allem darum, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen? Oder geht es auch um die Verantwortung des globalen Nordens? Um umfassende Information oder um eine Änderung des eigenen Verhandens? Bei den Europawahlen stand das Thema Klima längst nicht mehr an erster Stelle. Wie also geht es weiter mit der Klimabewegung?
Lea Bonasera, ehemals Letzte Generation, Publizistin [DE]:
Was die Mobilisierung und Sichtbarkeit angeht, denke ich, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung sehr erfolgreich war. Und trotzdem denke ich, dass man nicht da stehen bleiben kann. Dass es noch vieles gibt, was wir auch besser machen können, um noch erfolgreicher zu sein und unser Potenzial auszuschöpfen. Das ist zum einen, dass wir gerade eine sehr begrenzte Form von Taktiken verwenden. Also ich beobachte sehr viel, dass wir viel in die Richtung Demonstrationen gehen, auch Petitionen, solche Art von Protesten und eben auf der anderen Seite Disruption, also das Unterbrechen von Dingen, was beides legitime und valide Taktiken sind. [...]
Und ich denke auch, das Wichtigste ist, dass wir nicht nur Aufmerksamkeit haben, Sichtbarkeit, Menschen mobilisieren, sondern dass wir als Bewegung vor allen Dingen Macht haben und die Regierenden oder die Adressaten, das heißt jetzt die Unternehmerinnen, dazu bekommen, sich an den Tisch zu setzen und zu verhandeln.
Clara Thompson, Mobilitätsexpertin Greenpeace und Publizistin [DE]:
Ich würde sagen, dass ein Thema, das uns sehr beschäftigen wird in den nächsten Jahren, Wasser ist. Also das ist ja auch das, was gerade die Aktivistinnen in Grünheide versuchen, in ihrem Protest gegen Tesla. Auch ein sehr konkreter Kampf, der nochmal auf einem anderen Level ist im Sinne von, es geht jetzt nicht gegen einen deutschen Konzern, gegen eine deutsche Autobahn, die gebaut wird, sondern auch die globale Perspektive wird da viel mehr in den Fokus genommen.
Auch etwas, wovon die Klimagerechtigkeitsbewegung schon lange spricht, ist, mehr auch über den globalen Süden zu sprechen und Auswirkungen der Klimakrise. Und ich würde sagen, das Thema Landwirtschaft ist auch noch nicht abgegrast. Ich kann mir vorstellen, dass da auch noch viel passieren muss. [...]
Aber ich würde sagen, gerade ist eine Phase, wo die Klimabewegung sich stark neu orientiert. Und überlegt, in welche Richtung es geht. Und ich glaube auch, nach den Erfahrungen im Hambacher Wald und im Dannenröder Forst vielmehr auch auf der Suche nach konkreten Kristallisationspunkten ist, anhand derer man eine viel klarere Geschichte erzählen kann darüber, was hier eigentlich auf dem Spiel steht. Das ist natürlich eh das große Problem, dass alles so abstrakt ist. Aber ich würde sagen, an diesen beiden Schauplätzen hat die Klimabewegung es geschafft, es sehr konkret zu machen. Und mein Gefühl ist, dass sie gerade wieder nach so einem Schauplatz sucht.
Julian Schütter, Letzte Generation [AT]:
Prinzipiell glaube ich, dass das Thema des solidarischen Kollaps immer präsenter werden wird. In meiner Einschätzung machen das schon einige Organisationen. Die meisten verstehen es noch nicht so. Also die Proteste bei Tesla zum Beispiel sind in meinen Augen schon eher Proteste für eine solidarische Kollapspolitik und weniger für CO2-Emissionen.
Weil um was da wirklich gekämpft wird, ist die Frage, was wird in Zukunft in der Fabrik produziert? Sind es Luxuskarren für ein paar reiche Menschen oder sind es Lastenräder für sehr viele und öffentliche Verkehrsmittel für alle? Das sind halt auch die Fragen, die durch die Klimakatastrophe immer drängender werden, weil die Gefahr schon sehr stark besteht in dem System, wie es aktuell ist, dass sich die reichen Entscheidungsträger*innen immer noch mehr nehmen. Und sie werden es dann der Mittelschicht wegnehmen.
Payal Parekh, Klimagerechtigkeitsaktivistin [CH]:
Was ich sehe, das wir machen müssen, und meine Energie stecke ich dorthin, ist, dass eigentlich die Bewegung breiter werden muss. Das heißt, wir haben gesehen beim ersten Klimagesetz, das wir verloren hatten, 2021, es genügt nicht Leuten, die gut ausgebildet sind und in der Stadt wohnen, wir sehen nicht genug, dass es wirklich Klimaschutz gibt und Klimagerechtigkeit, was eigentlich wichtiger ist.
Und das würde ich sagen, ist es, wir müssen Leute aus der Arbeiterschicht, Leute auf dem Land, Leute mit Migrationshintergrund erreichen. Und wir machen das nicht, indem wir zu ihnen gehen und sagen, was zu tun ist, sondern wirklich Leuten einfach offene Fragen zu stellen.
Wie sehen Sie die Klimakrise? Was sind Probleme für Sie? Was möchten Sie sehen, das passiert? Merken Sie das auch mit dem Wetter? Und wenn das da ist, dann kann man anfangen, einen Austausch zu haben.Und sehr wichtig, dass wir die Klimakrise mit den Sozialkrisen auch zusammen verknüpfen. Weil wenn wir das machen, dann ist es sowieso besser, weil wir in Richtung Klimagerechtigkeit gehen, anstatt nur Klimaschutz.
Christian Kdolsky, Verein Klimavolksbegehren [AT]:
Die Frage ist immer, wie schnell kann diese Veränderung passieren? Und vor allem, wie wird es aufgenommen bei der Bevölkerung? Gibt es dann Widerstand dagegen? Und wie können wir die Bevölkerung ins Boot holen? In einer sehr schnellen Geschwindigkeit, aber eben auf Augenhöhe mit den Themen, die die Bevölkerung interessieren. Unser Zugang jetzt mit der Zukunftsallianz ist, wirklich darüber zu sprechen: Wie sieht denn eine positive Zukunft aus? Was ist denn der Nutzen für die Menschen da draußen?
Wir wissen auch aus den Meinungsdaten, dass es da ein Bedürfnis gibt, dass da viele Leute nach Nutzen suchen und überzeugbar wären. Und das ist dann für mich auch wieder ein Beispiel dafür, dass die Klimabewegung an sich nicht gescheitert ist.Ich würde sogar nicht mal sagen, dass Last Generation gescheitert ist.
Annika Kruse, Fridays for Future [DE]:
Wir haben zum Beispiel bei der letzten Generation aber gesehen, dass durch deren Aktion das Verständnis für Klimaaktivismus nach unten gegangen ist.Das wurde stark geschwächt. Ich würde nicht sagen, dass man zwangsläufig daraus schließen kann, dass deshalb auch die letzte Generation die Klimabewegung geschwächt hätte.
Aber man muss dann natürlich draufschauen, wie sehr will man, dass es das Verständnis gibt für Klimaaktivismus.Oder wie sehr will man auch provozieren, um dann wieder das Verständnis wieder neu zu schaffen mit einem neuen Diskurs. [...]
Wir sehen eine komplett eskalierende Klimakrise. Das Klima gerät komplett außer Kontrolle.Und ich bin mir ganz, ganz sicher, dass es sehr viele Menschen gibt, die sich genau darüber Gedanken machen und die wirklich diese absolut intrinsischen Motivationen haben, etwas gegen die Klimakrise zu tun. Und ich denke, dass früher oder später die Bewegung, entweder kommen existierende Bewegungen wieder hoch und haben einen ganz großen Aufschwung, oder es wird eine neue Klimabewegung geben.
Tino Pfaff, Umweltaktivist und Campaigner, Publizist [DE]:
Ich glaube, dass diese politische Stimmung im Land, die nicht neu ist und die nicht irgendwie aufgeploppt ist, sondern die jetzt sichtbar ist und die einfach zu neuen Formationen geführt hat, ein ganz großes Problem ist.Und man sich eben fragen muss: Was macht man denn als Klimabewegung? Und bleibt man moralisch, ethisch richtig und sagt, wir haben das und das Problem und unsere Demokratie fußt auf einem antifaschistischen Verständnis und hier sind unsere Grenzen?
Oder öffnet man sich halt und sagt, okay, wir müssen kalkulieren, wir brauchen viele Menschen.Es gibt Menschen, die haben ein bisschen komische Ansichten, aber eigentlich wollen wir in die ähnliche selbe Richtung und sind kapitalismuskritisch.Das ist die große Frage, die sich dauerhaft stellt und immer wieder stellen wird, und was es für Mittelwege da gibt.Das muss man so einfach sagen. Ich kann mir vorstellen, dass manchen das nicht gefällt. [...]
Wenn es darum geht, ob eine Radikalisierung schadet, ist, glaube ich, nochmal wichtig zu schauen, was ist mit Radikalisierung gemeint. Und das ist, glaube ich, auch vielen geläufig, dass es letztendlich ja nur darum geht, dass man eine ziemlich klare Linie fährt, dass man zurück zu bestimmten Inhalten kommt, dass man eigentlich die Dinge anspricht, die Dinge bei der Wurzel packt, also eigentlich die Probleme angeht, ohne da drum herum zu schweifen.Von daher ist ja der Begriff, oder die Begriffsbenutzung des Radikalisieren oder der Radikalisierung ja oft auch fehlgeleitet.
Marcel Hänggi, Gletscherinitiative, Publizist [CH]:
Ich muss zuerst mal gestehen, dass ich da ein bisschen ratlos bin. Oder sagen wir so, ich finde es schwierig, im Moment nicht zu verzweifeln, nachdem die Temperaturen seit einem Jahr jeden Monat Rekordniveau haben und gleichzeitig die politische Lage eher in Richtung Ignoranz geht.
Und ich glaube, wir müssen, wie das ja eh schon gelaufen ist, vielgleisig funktionieren auf verschiedenen Stufen. Also versuchen, Gesetze zu erreichen auf parlamentarischem Wege, über Volksinitiativen. Aber auch den Druck auf der Strasse, na, ich sage jetzt nicht beibehalten, den müsste man wieder erhöhen. Und dann halte ich den juristischen Weg für wichtig.
Trotz oder gerade auch weil dieses Urteil aus Strasbourg gegen die Schweiz jetzt auf so viel Protest gestoßen ist oder so viel Protest ausgelöst hat, glaube ich, dass das ein Weg ist, den wir unbedingt weitergehen müssen. Und wenn ich sage, Gesetze auf dem Weg, glaube ich, da muss man auch vielspurig fahren in Bezug auf, was für Ziele man anstrebt. CO2-Reduktion ist natürlich das Wichtigste, aber es ist nicht das Einzige. Also wir brauchen auch verkehrspolitische, landwirtschaftspolitische und so weiter Ansätze.
Und da kann ich mir vorstellen, dass die Schweiz als sehr föderalistisch aufgebauter Staat den Vorteil hat, dass man in verschiedenen Regionen verschiedene Dinge tun kann. Verkehrspolitik ist sicher was für die Städte. Da gibt es ja auch schon einiges, die Stadt Basel mit ihrer Umweltverantwortungsinitiative, die erfolgreich war. Anderes wird eher auf dem Land besser funktionieren. Also ich glaube, wir brauchen Vielstimmigkeit.
Manuel Grebenjak, Publizist, Aktivist [AT]:
Es gibt diese drei Flügel der Bewegung. Die machen eben, was sie immer machen. Die versuchen so ein bisschen Neues, so kleine Experimente, aber im Prinzip blockiert der widerständige Flügel rund um die letzte Generation Straßen. Im Prinzip gehen Fridays for Future auf die Straße und demonstrieren mit ihren Bannern und Schildern.
Und im Prinzip gibt es hin und wieder verschiedene größere und kleinere Aktionen des radikalen Flügels, wo irgendwelche fossile Infrastruktur blockiert wird. Und was da eben nicht passiert, und das ist es, worauf ich eigentlich hoffen würde im Sinne einer Veränderung, ist es, dass man sich jetzt in dieser Phase eher mal gemeinsam hinsetzt und schaut, was könnten wir denn ändern und was klappt gerade nicht, wo sind wir vielleicht in einer Sackgasse und dann eben neue Wege geht. [...]
Daraus würde ich gerne eine Lehre ziehen, nämlich, dass Politik und soziale Bewegungen nicht immer nur planbar sind, sondern dass es auch äußere Faktoren gibt, dass es sowas gibt wie Momentum, auf das man sich zwar vorbereiten kann, aber auf das man auch immer wieder schnell reagieren muss, wenn es dann eben soweit ist.
Und in diesem Sinne würde ich hoffen, dass sich die Bewegung hinsetzt, sich überlegt, was könnten denn in den nächsten Jahren so viele Momente sein, wo vielleicht wieder mehr Menschen für uns erreichbar sind?
Wie könnten die aussehen?
Was brauchen wir, um dann effektiv sein zu können und wieder stärker sein zu können und mehr Einfluss haben zu können auf die Entwicklungen, die dann vielleicht passieren?
Sprecherin Neue Zukunft:
Starkregen, Überflutungen, Dürren, Hungersnöte, Extremwetter. Wir von der neuen Zukunft sind uns sicher, dass diese Klimakrise eine breite Klimabewegung braucht. Und einen besonderen Journalismus.
Ein Journalismus, der kritisch und solidarisch über die Klimabewegung berichtet. Über und für die Klimabewegung.
[Ende Transkript]
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